Regionalia

Norbert Weiß, Jens Wonneberger

Am Grünen Zipfel und Auf dem Sand

Inhalt

Vorwort

Der hohe weiße Tempel auf der hellen Au
Tatort Hellerau

Die Hausschlüssel in der Dachrinne
Wohnort Hellerau

Von neuen Blättern und alten Typen
Verlage und Verleger in Hellerau

Falsche Elektrische ins Menschheitsgärtlein Hellerau
Literaten als Besucher in der Gartenstadt

Literaturverzeichnis
Textnachweis

 

 

Vorwort

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Die Heiderandsiedlung Hellerau, gelegen auf Rähnitzer und Klotzscher Flur im Norden der sächsischen Landeshauptstadt, die sich kaum zweihundert Meter über den Meeresspiegel erhebt, wurde, den visionären Höhenflügen des Möbelfabrikanten Karl Schmidt folgend, als erste deutsche Gartenstadt gegründet. „Am Grünen Zipfel“ konnte nach dem ersten Erdaushub im Juni 1909 die Grundsteinlegung des Gemeinwesens gefeiert werden, das unter der Führung und dem  maßgeblichen Einsatz des Ideengebers und begeisterten Organisators Wolf Dohrn „die Einheit von Wohnen und Arbeit, Kultur und Bildung“ beispielhaft verwirklichen sollte. Dohrn, der 1907 zu den Mitbegründern des Deutschen Werkbundes gehört hatte war es auch, der mit seinem Engagement für die Etablierung einer „musikalisch-rhythmischen Bildungsanstalt“ dem Schweizer Komponisten und Musikpädagogen Émile Jaques Dalcroze in Hellerau ein neues Wirkungsfeld eröffnete und gleichzeitig damit dem Ort zu  internationalem Flair verhalf.

Die Verantwortung für den Bau von Werkstätten, kleinen Siedlungshäusern, Gärten, Villen und Einrichtungen, die dem Gemeinwohl dienen sollten, lag in den Händen bedeutender, stilbildender  Architekten ihrer Zeit, Richard Riemerschmid, Heinrich Tessenow und Hermann Muthesius unter ihnen.

Ab 1913 durch eine Straßenbahnlinie mit der Residenzstadt Dresden verbunden, mutierte der unscheinbare Vorort Hellerau mit den Deutschen Werkstätten, seinem Festspielhaus, mit Tanz- und Reformschulen, Verlagen, den ansässigen Künstlern, Kunstgewerblern und illustren Gästen und vor allem mit legendären, alljährlich stattfindenden gefeierten Theateraufführungen zur „fortschrittlichen Kulturstätte europäischen Ranges“. Diese viel versprechende Entwicklung wurde mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahre 1914 abrupt unterbrochen. Eine nach dem Kriegsende 1918 in Angriff genommene Fortsetzung der Bemühungen um die geistige und städtebauliche Erneuerung versandete in den Zwanziger Jahren fast vollständig. Das Wahrzeichen des Ortes, sein weithin bekanntes Festspielhaus, nach der Inflation in Privatbesitz und später an den sächsischen Staat verkauft, verkam in Adolf Hitlers Drittem Reich zur Kasernenanlage und wurde nach dem Weltkrieg Nummer Zwei von der siegreichen Roten Armee für mehrere Jahrzehnte als Militärquartier genutzt. Der Dichter Durs Grünbein, in der „stillen Gartenstadt“ aufgewachsen, erinnert sich in seinem poetischen Text „Rauchen verboten“ an die bizarre, Beklemmung provozierende Szenerie:

„Durch die Ritzen erspähten wir Panzerketten, Gekräusel / Staubigen Unkrauts. Ein Motorblock hing im Drahtverhau. / Ein Appellplatz war da, wenn das Eisentor einen LKW / Mit bulligen Rädern passieren ließ, Marke Ural. / Dahinter ein Musentempel, am Giebel der Sowjetstern .“ /

Das Hellerau des einundzwanzigsten Jahrhunderts, die Gartenstadt von heute in ihrem gegenwärtigen Selbstverständnis, ist „ein Flächendenkmal, dessen Bewohner sich der Moderne nicht verschließen, sich aber der Tradition des Ortes eng verbunden fühlen“. In den Nachfolgeeinrichtungen der berühmten „Deutschen Werkstätten“ wird wieder gearbeitet. Das Festspielhaus, jetzt ein gefragter Veranstaltungsort, gilt als Zentrum des modernen Tanzes, der neuen Musik und gleichermaßen auch als inspirierende Begegnungsstätte der Künste – als veritable Heimstatt der Künstler, Maler, Kunsthandwerker, Drucker, Bildhauer, Bildungsreformer, Verleger und Dichter wie einst in den Gründungsjahrzehnten zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, versteht sich der 1950 in die Stadt Dresden integrierte Ort wohl nicht. Dennoch sei erwähnt, dass in den Jahren nach 1945 mehrere  Schriftsteller im Ort beheimatet waren oder es noch sind; so der Erzähler Walter Weller, der Lyriker Erichwerner Porsche und der Romancier Hubert Gerlach.

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Hellerau sei „nicht wohl als eine schriftstellerische Siedlung“ zu bezeichnen, bekannte der aus Prag kommende und am Heiderand heimisch gewordene jüdische Dichter Paul Adler. Zwar besuchten „zahlreiche Autoren (bevorzugt aus Berlin, Wien und aus dem nahen Prag)“ die Gartenstadt, als „ständige Hellerauer“ aber kenne er „nur Emil Strauß und Alfons Paquet, dann noch Hegner“ und sich selbst natürlich auch. Dessen ungeachtet gab es eine Vielzahl von Schriftstellern, die Hellerau als Wohnsitz wählten, manche für wenige Monate, andere für Jahre, was den bereits genannten Schriftsteller Emil Strauß zu der sarkastisch formulierten Schlussfolgerung gelangen ließ es gäbe vor Ort „mehr Dichter als Läuse“. Sie residierten in sachlich-modernen Tessenow-Villen, bevölkerten armselige Kellerquartiere oder wohnten in jenen siedlungstypischen kleinen Häusern „Am Grünen Zipfel“ oder „Auf dem Sand“. Sie waren gekommen, um „neben der Schreiberei“ in den „Werkstätten“ als Angestellte oder Arbeiter Lohn und Brot für den Lebensunterhalt zu finden, im nahen Dresden am Theater, im Buchhandel oder als Publizisten bei den großen Zeitungen der Residenz unterzukommen. Manche schätzten die Nähe der kleiner Verlage vor Ort, andere die hier praktizierten lebensreformerischen Ansätze und pädagogischen Experimente. Sie verschrieben sich der „Rhythmik“, dem Siedlungsgedanken oder völkischen Idealen, wollten einfach nur in Ruhe, abseits des Urbanen leben und schreiben und sich „auch geistig von einer frischen und reinen Luft umweht“ fühlen.

Möglichst viele von ihnen, die lange „Vergessen“ zumal, sollen, ohne hierbei absolute Vollständigkeit anzustreben, auf den folgenden Seiten; in Form kompakter bio-bibliografischer Skizzen und Erläuterungen vorgestellt werden. Bei ausgewählten Autoren werden ergänzend dazu außerdem literarische Texte abgedruckt, die in Hellerau oder im engen zeitlichen Umfeld ihres Hellerau-Aufenthaltes entstanden sind oder diesen thematisieren. Umfassendere Darstellungen sind dem literarischen „Tatort“ Hellerau, den ansässigen Verlagen sowie zahlreichen prominenten Gästen der Gartenstadt gewidmet. Den zeitlichen Rahmen markieren die ersten drei Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts.

Dresden im Frühjahr 2013

Norbert Weiß und Jens Wonneberger

 

Kartoniert, 240 S.
ISBN 978-3-86276-085-5
EUR 18,00