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SILESIA NOVA 3-4/2013

Inhalt

Detlef Krell: Editorial

Krzysztof Ruchniewicz: Hallo Partner! Ein Geschenk aus Wrocław / Breslau

Krzysztof Ruchniewicz: Nur eine Provokation? Vergewaltigungen durch Soldaten – ein Tabu-Thema

Christoph Wetzel: Mit den Augen zuhören

Friederike Kempner: Poniatowsky. Gedicht

Hans-Christian Trepte: Zum Poniatowski-Mythos in der polnischen Kultur und Literatur

Beatrice Hildebrand: Neu verwurzelt. Sabrina Janeschs Niederschlesienroman "Katzenberge"

Katarzyna Nowakowska: Zum dichterischen Wort von Monika Taubitz

Robert Małecki: Einige Überlegungen zur transkulturellen Lektüre von Literatur. Mit Beispielen aus dem Werk von Eichendorff

Monika Taubitz: Gäste aus Warschau und Förslöf. Die 63. Wangener Gespräche vom 26. bis 29. September 2013 in Wangen im Allgäu

Sebastian Kleinschmidt: Bote des Lichts. Zeuge der Dunkelheit. Laudatio zum Eichendorff-Preis 2013 an Ulrich Schacht

Ulrich Schacht: Eichendorff, Ungaretti oder Der Blick über die Grenze. Dankesrede zur Verleihung des Eichendorff-Preises

Christiane Caemmerer: Das Rübezahlmotiv in der deutschen Literatur, dargestellt an vier Beispielen

Johann Carl August Musäus: Rübezahl

Christian Henke: Carl Hauptmann und die Filmkunst. Im Märchenfilm „Rübezahls Hochzeit“ stand der Dichter vor der Kamera – als Verkäufer von Riesengebirgsandenken

Jan Pacholski: Auf GutsMuths’ Spuren im Riesengebirge – fast eine Wanderung

Agnieszka Jóźwiak: Aspekte volkskundlicher Forschungen von Georg Gustav Fülleborn im „Breslauischen Erzähler“. Die Geschichte der Zeitschrift

Bernd Markowsky: Die Eukalyptus-Route. Zwei deutsche Botaniker bewahrten in bezaubernden Grafiken die portugiesische Flora. Heute dulden auf verbrannter Erde Plantagen keinerlei Leben unter sich

Kolář, Kokoschka und „Schaufenster“ zum Ersten Weltkrieg. Das neue Ausstellungsjahr im Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg

Pfefferkuchen – Reise der Sinne vom Ursprung bis zum Genuß. Sonderausstellung im Haus Schlesien

Rezensionen

 

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

was erwartet die Russische Botschaft in Polen, wenn sie von der polnischen Regierung eine „angemessene Reaktion“ auf die Perfomance eines jungen polnischen Künstlers fordert? Etwa Schauprozeß und Straflager, wie es die russische Justiz im Fall der drei russischen Pussy-Riot-Künstlerinnen praktiziert hat? Krzysztof Ruchniewicz fragt in seinem Beitrag über die jüngst in Danzig aufgestellte und nach wenigen Stunden entfernte Skulptur, die einen sowjetischen Soldaten bei der Vergewaltigung einer deutschen Frau zeigt, nach den möglichen Folgen dieser Kunstaktion für die Debatte über das weitgehend noch immer tabuisierte Thema. Dabei öffnet er unseren Blick auch über Europa hinaus bis nach Japan und zu den zumeist koreanischen Frauen, die als „Trostfrauen“ von der japanischen Armee systematisch vergewaltigt wurden.

Als „Boten des Lichts“ und „Zeugen der Dunkelheit“ würdigte Laudator Sebastian Kleinschmidt, langjähriger Chefredakteur der Kulturzeitschrift „Sinn und Form“, während der Wangener Gespräche den diesjährigen Eichendorff-Literaturpreisträger Ulrich Schacht. Der Lyriker, geboren im Erzgebirge – nämlich im Frauengefängnis Hoheneck in Stollberg – ist das „Russenkind“ einer verbotenen Liebe, 1949. Seine Mutter wurde inhaftiert, der Vater, Leutnant der Sowjetarmee, in die Heimat zurückbefohlen, nachdem verraten worden war, daß die beiden nach Westdeutschland fliehen wollten, weil ihnen unter sowjetischem Befehl eine gemeinsame Zukunft verboten worden war. In seiner Dankesrede für den Literaturpreis, die Sie in diesem Heft lesen können, verweilt Ulrich Schacht natürlich bei Eichendorff, aber auch bei dem italienischen Dichter Guiseppe Ungaretti.

Mehrere Beiträge in dieser Doppelausgabe widmen sich der Kulturgeschichte des Riesengebirges und seines Berggeistes Rübezahl. Mit dem Rübezahlmotiv in der deutschen Literatur – bei Martin Opitz, Johannes Praetorius, Johann Karl August Musäus und Carl Hauptmann – befaßt sich die Berliner Literaturwissenschaftlerin Christiane Caemmerer. Als Angebot für lange Winterabende veröffentlichen wir die Musäus-Geschichten in der weniger bekannten Fassung aus den Märchenbüchern, die 1918 bei Bruno Cassirer – einem gebürtigen Breslauer – in Berlin erschienen sind; mit Zeichnungen des Impressionisten Max Slevogt, von denen einige ausgewählte auch dieses Heft illustrieren.

Eine sensationelle Entdeckung in der Filmgeschichte ergab sich vor einem Jahr zunächst aus Gesprächen zwischen Hauptmann-Forschern in Schreiberhau. Carl Hauptmann, der Autor des 1915 erschienenen Rübezahlbuches, hat in einem Rübezahl-Film mitgespielt, als Andenkenverkäufer. Der Journalist und Hobby-Filmhistoriker Christian Henke aus Niesky berichtet von der Wiederentdeckung dieses Filmes, den wir wohl spätestens im Jahr 2015 restauriert zu sehen bekommen werden. Nicht wissentlich mit Rübezahl, aber im Geiste mit dem „Turngroßvater“ Johann Christoph Friedrich GutsMuths war Jan Pacholski unterwegs im Riesengebirge. GutsMuths’ 1799 in Breslau erschienener Reisebericht ist ein kulturhistorischer Schatz, aber auch Zeugnis einer sportlichen Leistung des am Harz geschulten Quedlinburgers, vor der Pacholski als passionierter Bergwanderer den Hut zieht.

Mit der Geschichte des „Breslauischen Erzählers“, einer in den Jahren 1800 bis 1809 erschienenen Wochenschrift, befaßt sich Agnieszka Jóźwiak. Besonders wendet sie sich den volkskundlichen Forschungen und daraus resultierenden Beiträgen des langjährigen Herausgebers, Georg Gustav Fülleborn, zu.

Der Essay über die „Eukalyptus-Route“ mag auf den ersten Blick weniger mit dem Profil von Silesia Nova zu tun haben. Autor Bernd Markowsky zeichnet den Weg zweier Forscher nach, des Grafen Johann von Hoffmannsegg aus Rammenau in der Oberlausitz und des späteren Rektors der Breslauer Universität, Heinrich Friedrich Link. Mit ihrem gemeinsamen Werk Portugaise Flore dokumentierten die beiden Botaniker im ausgehenden 18. Jahrhundert in einem Reisebericht und auf 114 kolorierten Kupfertafeln, die nach Zeichnungen von Hoffmanseggs gestochen wurden, den Reichtum der Flora Portugals. Nur wenige Jahrzehnte später wurde die portugiesische Pflanzenwelt weitflächig durch den profitablen Massenanbau des zuvor dort nicht beheimateten Eukalyptusbaumes für immer vernichtet. Bis heute hat die auf Eukalyptus basierende Zellulose-Industrie das Land im Griff, Waldbrände zeichnen ihre Spur, und unter den Namen, die hier zu nennen sind, ist auch der des Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso.

Als der Leiter der Umweltbibliothek Großhennersdorf, Andreas Schönfelder, das dem Freistaat Sachsen gehörende Barockschloß Rammenau dafür gewinnen wollte, die rare Mappe der Portugaise Flore von einem Antiquariat zu erwerben, stellte sich heraus, daß diese in der Sammlung des Schlosses schon vorhanden ist. Ihre Geschichte und bedrückende Aktualität wurde bisher nicht erzählt; die Mappe, bis auf wenige Blätter, noch nie gezeigt.

Ist es nicht eine spannende Vorstellung, diese auch künstlerisch hochwertigen botanischen Illustrationen heute sehen zu können, am historischen Ort, in diesem Schloß, das damals von seinem Eigentümer verkauft worden war, weil ihn die Wißbegier, die unbändige Leidenschaft für die Forschung, quer durch Europa trieb? Am Heimatort des nur vier Jahre älteren Philosophen Johann Gottlieb Fichte? Diese Mappe als Glanzpunkt einer Ausstellung, auch in Breslau und in Portugal gezeigt, könnte Fragen thematisieren, die uns umtreiben in Europa; Ökologie und nachhaltiges Wirtschaften, die Bewahrung der Natur und unsere Verantwortung in diesen Prozessen. Sie könnte auch ein Fenster nach Portugal öffnen, in ein Land, das wir über die Nachrichten zumeist nur noch als Schuldnerland in der Bankenkrise wahrnehmen.

Mit dieser Ausgabe beschließt Silesia Nova ihren 10. Jahrgang in der Gewißheit, daß wir der schlesischen Kulturgeschichte, der europäischen Gegenwart und Zukunft dieser Landschaft und den aktuellen Fragen der deutsch-polnischen Beziehungen verbunden bleiben werden. Nicht Grenzen machen das Leben spannend, sondern das, was es dahinter zu entdecken gibt. In diesem Sinne freuen wir uns auf neue Begegnungen, Texte und Bilder. Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, anderen davon erzählen, die dann vielleicht Silesia Nova abonnieren, hilft uns das auch, diesem Prinzip treu zu bleiben. Werbung anschauen können wir alle woanders.

Ich wünsche Ihnen eine besinnliche Adventszeit, ein frohes Fest und unterhaltsame Lektüre.

Detlef Krell

ISBN 978-3-86276-113-5 / 276 S. / EUR 20,00