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Dieter Liebig

Jakob Böhme: Aurora oder Morgenröthe im Aufbruch. Ein Kommentar

Vorwort

Jakob Böhme (andere Schreibweise Jacob) wurde 1575 als Sohn eines wohlhabenden Bauern und Kirchenältesten in Altseidenberg jenseits der Neiße geboren. Er erlernte das Schuhmacherhandwerk und ließ sich 1599 als Bürger und Meister in Görlitz nieder.
Sein Bildungsstand war beachtlich, so daß er sich mit seiner Morgenröthe im Aufgang in der Lage sah, über Philosophia, Astrologia und Theologia zu schreiben. Die gezielte Beschäftigung damit begann 1600, weil hier das Erlebnis einer geistlichen Erweckung erwähnt wird. 1610 erfolgte eine ebensolche. Sein Biograf Abraham von Frankenberg hat das in barocker Ausschmückung mitgeteilt. Es ist anzunehmen, daß Böhme von diesem Jahr an mit Aufzeichnungen befaßt war. Mehrere Schichten in der Morgenröthe legen es nahe. Von Januar bis Juni 1612 dürfte das Manuskript geschrieben worden sein.
Wohl kaum eine andere Schrift hat bei ihrem Bekanntwerden ein solch eigentümliches Schicksal ereilt, wie Böhmes Morgenröthe. In der Biografie Frankenbergs findet sich gleich alles beieinander:


"Im Jahre 1612 sein 1. Buch Morgenröthe im Aufgange , (nachmals von Dr. Balthasar Waltern AURORA genant) welches ob er es wol niemanden , als endlich auf grosse Bitte einem wolbekanten von Adel , der es ohn gefaehr bey ihme funden , nur zum Uberlesen anvertrauet , auch nicht gewolt , daß es an das offene Tage=Licht kommen , viel weniger gedruckt werden solle: Hat doch der von Adel aus grosser Begierde zu solchem verborgenen Grunde , dasselbe alsobald zertheilet , und nebenst eigener Hand durch unterschiedene Copisten bey Tag und Nacht gantz eilfertig abgeschrieben , worauf es einem und dem andern bekant , bis es endlich auch dem Ober=Pfarrer zu Goerlitz , Gregorio Richtern , kund worden , der es dem gemeinen oder verkehrten Schul=Brauche nach , ohne genugsame Pruefung und Erkentniß , alsobald mit oeffentlicher Laesterung von dem Predigtstuhle zum hoechsten verdammet , und solches auch mit persoenlichen Schmaeh=und Bannisirungen des unschuldigen Autoris so oft und lange wiederholet und getrieben , bis letztlich der Rath zu Goerlitz selber nachgefraget , Jacob Boehmen , als ihren Buerger , vor sich gefordert , (so geschehen Anno 1613, freytags den 26. Jul.) das Buch auf dem Rathhause verwahret und den Autorem , sich an seinem Leiste zu begnuegen , das Buecher=Schreiben aber unterwegen zu lassen, verwarnet."


Der besagte Adlige war Karl Ender von Sercha auf Leopoldshain. Böhme hatte zeitlebens vermögende Gönner und Freunde, die ihn und sein Werk förderten. Jakob Böhme hat sich 7 Jahre an das Schreibverbot gehalten, von 1619 bis zu seinem Tode 1624 entstanden 31 Schriften. Gedruckt wurde nur Von wahrer Buße. Das Buch führte bei seinem Erscheinen 1624 zu heftigen Angriffen und Verfolgungen, so daß Böhme ein ordentliches kirchliches Begräbnis versagt wurde.

Die Urschrift der Morgenröthe blieb im Rathaus verwahrt und gelangte 1641 in den Besitz des kursächsischen Haus-Marschalls von Pflug, der sie ein Jahr darauf an den Böhme-Verehrer und Sammler Beyerland in Amsterdam verkaufte. Heut befindet sich das Original in Wolfenbüttel.
Bis zur ersten Veröffentlichung seiner Manuskripte sollten noch einmal 40 Jahre vergehen. Die radikale Sekte der Engelsbrüder unter Johann Georg Gichtel entzog sich der Verfolgung in die Niederlande. Gichtel propagierte Böhme als Propheten von weltgeschichtlicher Bedeutung. 1682 gab er unter Mitwirkung Beyerlands in Amsterdam eine originale 15teilige Ausgabe heraus, der 1730 die vollständige folgte. 1764–1781 wurde die erste englische Übersetzung vorgenommen und in 4 Bänden veröffentlicht.

Meine Erstbegegnung mit Jakob Böhme hatte auch etwas mit der konspirativen Art des Görlitzer Denkers zu tun. 1985 kam trotz eindringlicher staatlicher Warnungen das Grüne Requiem Totenmesse für die Natur bei Werk und Feier heraus. Danach wurden Arbeiten schon im Ansatz abgelehnt. Nach mehreren Beschwerden bei staatlichen Stellen erhielt ich zwei Themen (Armin Stolper), eines davon war die Morgenröthe Jakob Böhmes, die es zu dramatisieren galt. Ich fragte verwundert, was das soll. Stolper antwortete süffisant: „Da können Sie sich an beiden gleichzeitig rächen, am Staat und an der Kirche.“

Ich zog den Text Aurora oder Morgenröte im Aufgang in der DDR-Reclam-Ausgabe von 1974 heran. Da es sich um ausgewählte Texte handelte, waren nur die Vorrede und die Kapitel 1–2, sowie 8–11 gedruckt worden. „Unter der Hand“ half mir die Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften mit der Ausgabe von 1730 weiter, welche seither die Grundlage für meine Arbeiten bildet. Entstanden ist dann 1987 Der grüne Jakob Dialog in der Landschaft. Böhme, aus Görlitz ausgewiesen, geht in 7 Tagen nach Hause (Altseidenberg), und zwar in der damaligen Landschaft zwischen Tagebau Berzdorf, Kraftwerk Hagenwerder und Hirschfelde, sowie Turow. 1990 wurde das Stück zusammen mit Grünes Requiem veröffentlicht.

In den neunziger Jahren prägten Vorträge und Lesungen die Beschäftigung mit Böhme. 1998 entstand das Böhme-Requien Nun fahr ich hin ins Paradeis (Komposition Friedrich Rothe) und wurde zu Bußtag in der Peterskirche Görlitz uraufgeführt. Aus Anlaß der Böhme-Ehrung 1999–2000 wurde der Kommentar zur Morgenröthe geschrieben.

Methodisch bin ich im Kommentar am Text Böhmes entlanggegangen. Durch Zitate untersetzt habe ich Exegese betrieben, sowohl hinsichtlich des von Böhme verwendeten Stoffes, 175 Bibelstellen wurden von ihm verwendet, als auch in der Untersuchung des Textbefundes. Auf dieser Grundlage geschah die Hermeneutik, eine Untersuchung zur Auslegung des Stoffes. In einer Systematisierung wurde das Werk verschiedenen philosophischen Strömungen zugeordnet, welcher in traditioneller und heutiger Begrifflichkeit gekennzeichnet sind.

Dieter Liebig

Kartoniert, 228 S.
ISBN 978-3-86276-077-0
EUR 18,00