Belletristik

Clara Bauer

Unlösliche Bande

In den letzten Jahren ihres kurzen Lebens hat Clara Bauer unter dem Pseudonym Karl Detlef mehrere Novellen und Romane geschrieben, von denen besonders ihre bewegenden, psychologisch scharfzeichnenden und anschaulichen Lebensbilder der russischen Gesellschaft um die Mitte des 19. Jahrhunderts von den Lesern mit großem Interesse aufgenommen wurden. Ihr literarischer Wert bestehe vor allem „in einer eben so eindringenden wie plastischen Charakterzeichnung“, heißt es in Friedrich Wilhelm Hackländers illustriertem Wochenblatt „Über Land und Meer“ (Stuttgart 1874, 16. Jg., 2. Band, S. 526), in dem die ersten Novellen Clara Bauers erschienen sind. „In die tiefsten und verstecktesten Falten des Menschenherzens des höchsten Aristokraten wie des stumpf verschlagenen Bauern dringt diese Autorin ein und stellt die Menschen vollendet und anschaulich mit einer an Shakspere [sic!] erinnernden Gewalt uns vor Augen.“

Zu einigen Details ihrer Biographie gibt es widersprüchliche Angaben, die für die beabsichtigte Neuausgabe ihrer russischen Novellen bisher nicht verifiziert werden konnten. Der oben zitierte, noch zu ihren Lebzeiten bei Hackländer erschienene biographische Aufsatz bleibt in mehreren Fragen recht allgemein. Geboren wurde Clara (auch: Klara) Bauer am 23. Juni 1836; einigen Quellen zufolge in Swinemünde als Tochter eines Hafendirektors, als Geburtsort wird aber auch Krotoschin in der preußischen Provinz Posen genannt, wohin ihr Vater als Landrat versetzt worden war. Nach dem Tod des Vaters folgte Clara ihrer älteren Schwester nach Breslau, wo sie das Lehrerinnenexamen absolvierte. In Dresden erhielt sie Klavierunterricht bei Friedrich Wieck (Pretzsch 1785–1873 Loschwitz).

Ihr Talent führte sie nach Petersburg, wo sie im Haus eines russischen Generals als Pianistin tätig war und dem kaiserlichen Hofpianisten und Generalmusikdirektor Adolf Henselt (Schwabach 1814–1889 Bad Warmbrunn) begegnete, der ihr weiteren Unterricht gab. In dieser Zeit war sie auch oftmals Gast im Hause des preußischen Gesandten am russischen Hof, Fürst Otto von Bismarck. Clara Bauer blieb drei Jahre in Petersburg und ein Jahr im zentralrussischen Orjol. Dann zwang ihr Gesundheitszustand sie, das strenge russische Klima zu verlassen und 1866 nach Dresden zurückzukehren. Sie arbeitete als Musiklehrerin und lernte den Dichter und Kritiker Gustav Kühne (Magdeburg 1806–1888 Dresden) kennen, der dem Jungen Deutschland angehörte. Diese Begegnung ermutigte sie, sich ebenfalls literarisch zu betätigen: „Die Anregungen, die ich in der liebenswürdigen Familie empfing, wirkten befruchtend auf meine geistige Entwicklung, und so entstand der Gedanke, meine vielfachen Erlebnisse, Beobachtungen und Erfahrungen in Rußland zu benützen und literarisch zu verwerthen.“ („Über Land und Meer“, a.a.O.)

So wurde der Name Karl Detlef, hinter dem sich Clara Bauer in allen ihren Werken verborgen hat, in die deutsche Literatur eingeführt. In Hackländers Zeitung, die auch Fontane, Gerstäcker, Gutzkow, Heyse, Karl May und Wilhelm Raabe veröffentlichte, war 1868 ihr Debüt zu lesen, die Novelle „Bis in die Steppe“. Im Jahr darauf erschien dieses Werk als Buch im Verlag Eduard Hallberger, dem die Schriftstellerin ebenso treu blieb wie ihrem Pseudonym. Erst zwei Jahre vor Clara Bauers Tod erfuhren die Leser in dem hier bereits zitierten Porträt, daß die kenntnisreichen Schilderungen russischer Lebensbilder und Landschaften von dieser aus kleinstädtischem Bürgertum stammenden jungen Frau, einer Lehrerin und Pianistin, geschrieben worden sind.

Auch „Unlösliche Bande“ wurde nach dem Vorabdruck im „Über Land und Meer“ in zwei Auflagen (1869, 1872) bei Hallberger verlegt. Es folgten weitere Novellen und Romane, darunter „Nora“, eine „Charakterstudie“ aus der deutschen Gesellschaft, sowie 1871 der an Dostojewski orientierte Roman „Schuld und Sühne“. 1872 unternahm sie eine Reise nach Italien, deren literarischer Ertrag sich in der zweibändigen Novelle „Auf Capri“ darstellt (1874). Ihr unheilbares Brustleiden führte sie 1875 in das Haus ihrer Schwester in Breslau, wo sie am 29. Juni 1876 verstorben ist. In ihrem Todesjahr erschien der wiederum in Rußland handelnde vierbändige Roman „Ein Dokument“, ein beklemmendes, sprachgewaltiges Charaktergemälde. Ihre letzte Veröffentlichung sind 1878 die „Russische Idyllen“ mit den beiden nachgelassenen Novellen „Meine Nachbarn auf dem Lande“ und „Russisches Landleben“.

Der Neisse Verlag bereitet unter dem Reihentitel "Russische Lebensbilder" Neuausgaben ausgewählter Werke von Clara Bauer vor, die nunmehr erstmals unter dem Geburtsnamen der Schriftstellerin erscheinen werden. Anläßlich des 180. Geburtstages und 140. Todestages von Clara Bauer wird die Reihe mit der Novelle "Unlösliche Bande" eröffnet.

Nach der Originalausgabe
Stuttgart 1872

Kartoniert, 232 S.
ISBN 978-3-86276-206-4
EUR 14,00